Vera Haller liess sich zuerst in Österreich zur Lehrerin für klassischen Tanz ausbilden. Das entsprach ihrer Suche nach Anmut und Körperausdruck, die sie in den frühen Dreissigerjahren auch dazu bewog, an der Kunstgewerbeschule in Wien, unter der Leitung von Margarethe Hammerschlag (1894-1944 Auschwitz), Zeichenkurse, insbesondere für Bewegungszeichnung zu besuchen. Als sie durch ihre Heirat und infolge des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz kam, begann sie zu malen, verhältnismässig spät, denn ihr erstes bekanntes Ölbild entstand 1945, als sie 35 Jahre alt war.
In Zürich besuchte sie die Kurse der Kleinen Akademie, unter der Leitung von Henry Wabel (Zürich 1889-1981). Zwischen 1951 und 1955 belegte sie auch periodisch Kurse an der Académie de la Garande Chaumière in Paris, wo Edouard Mac-Avoy (1905-1991) ihr Lehrer war. Als Malerin zieht mich vor allem die figurative Darstellung an. Ich bin Expressionistin und neige dazu, durch immer stärkere Vereinfachung zu abstrahieren.
Das Zitat zeigt deutlich, dass Vera Haller sich stilistisch, wie ihr Zürcher Meister, im Spätkubismus bewegt und die Maltechnik bereits gut beherrscht: die formale Konstruktion ist sehr sicher und essentiell und lässt die spätere Hinwendung zur Abstraktion erahnen.
1953 findet in der New Yorker Galerie Moderne ihre erste Einzelausstellung statt. Sie lernt James Fitzsimmons kennen, der in der Folge die Rolle des bedeutendsten Vermittlers einer neuen kulturellen Öffnung übernehmen wird. Durch diese Begegnung verlieren Vera Hallers Werke langsam ihre anfängliche Plastizität, Festigkeit und Konsistenz und entfernen sich immer mehr von der Gegenständlichkeit.
Dieser Weg führt über eine anfängliche Annäherung an die gestisch-tachistische Malerei zu einer ab 1956 radikalen Auseinandersetzung mit den Hauptelementen des künstlerischen Ausdrucks: Zeichen, Farbe, die zweidimensionale Natur der Komposition auf der Leinwand. 1957 entscheidet sich Vera Haller für die informelle Malerei.
Der gestische Ausdruck ist dabei noch mit der früheren figurativen Malweise verbunden. Nicht zufällig scheint die neue Freiheit und Dringlichkeit des malerischen Gestus auf jene Bewegungszeichnung zurückzuweisen, mit der sich die Künstlerin ein Vierteljahrhundert zuvor, während ihrer Ausbildung zur Tänzerin, auseinandergesetzt hatte.
Vera Hallers Hinwendung zur informellen Kunst in Europa und zum abstrakten Expressionismus in Übersee erfolgt mit einem gewissen zeitlichen Abstand zur Avantgarde und ist deshalb als Ergebnis einer natürlichen und meditierten Entwicklung ihres künstlerischen Ausdrucks zu betrachten. Dieser bleibt der Bildtradition immer stark verbunden, sowohl jener der Vergangenheit (Gebrauch der Goldbronze) als auch jener der aussereuropäischen Kulturen, aus denen sie, besonders auf formaler Ebene, immer wieder archetypische Motive schöpft.
Ab 1960 gibt Vera Haller in ihren Bildern nach und nach das Zeichen auf, um dadurch der Form stärkere Bedeutung zu verleihen. Das äussert sich in archaischen Motiven, auf denen sie insistiert und die dadurch beherrschend werden, wie die waagrecht/senkrechten Kontraste des dicht aufgetragenen Kreuzes, in dem die Farbe zur lebendigen, fast organischen Materie wird.
Hier erreicht die Ausdruckskraft der Künstlerin in der informellen Kunst ihren höchsten Grad, eine Ebene, in welcher der innere Konflikt zwischen Instinkt und Rationalität ins Emotive verlagert wird. Die nachfolgenden Tondi der Jahre 1962-64 bezeugen das allmähliche Nachlassen dieses Konflikts, sowohl in der Form der Bildfläche, die auf Ecken verzichtet, so dass eine räumliche Kontinuität mit der Wand entsteht, als auch in der starken symbolischen Aufladung des Bildes.
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Vera Haller mit ihrer wachen Intelligenz und scharfen Beobachtungsgabe fühlte sich immer angezogen und beeindruckt von Einzelheiten, welche die Zeichen der Zeit tragen, von verblichenen Stellen und Ablagerungen auf den Mauern, auf den Fassaden der Häuser in ihrer Umgebung. Diese auch inneren Spuren hat sie konstant verarbeitet, bis sie zu inspirierenden Motiven ihrer künstlerischen Kommunikation wurden. So entstand die Serie der Muri e Contenitori (Mauern und Gefässe). Die Künstlerin belädt diese Anstösse nicht mit starken expressiven Elementen, sondern schafft nochmals eine reine malerische Synthese, auch durch Anwendung mechanischer Vorgehensweisen: sie benutzt etwa einen Roller anstatt den Pinsel. Damit wird die Bildfläche leichter und die Farben, aber vor allem die Materie verfeinern sich. Letztere wird hauchdünn aufgetragen und so löst sich die Marter des Informellen in einem zarten Gleichgewicht elementarer und kontrollierter Formen auf. Die Bildfläche wird zu einem Behälter von Empfindungen und Gefühlen und entdeckt teilweise die traditionelle perspektivische Illusion wieder, mit Lösungen die sich der lyrischen Abstraktion annähern.
Ab 1974/75 gewinnt eine neue und endgültige stilistische Syntax die Oberhand: Vera Haller malt nun geometrisch-abstrakt und reiht sich so in den Kreis der Zürcher Konkreten ein. Die Arbeitsmethode beruht auf Rationalität und Konzeptualität, die zur unerlässlichen Grundlage, zum Ursprung der künstlerischen Handlung werden, und den früheren gestischen Zugang zur Malerei vollkommen verdrängen.
Zahlreiche kleine Skizzen, Studien für Bildzyklen, bezeugen diesen neuen Zugang. Die Künstlerin drückt nun ihr Bedürfnis aus, jede kreative Phase voll und ganz zu kontrollieren: sie selbst bereitet die Farben vor, um sich so in einer persönlichen Skala ausdrücken zu können.
Das Bestreben nach formeller und farblicher Strenge ist absolut. Die Bilder tragen aber immer noch Titel – Tracce (Spuren), Apertura (Öffnung)...- und enthalten historische Anspielungen, wie zur Bestätigung, dass der dünne Faden zur Wirklichkeit nicht abgebrochen ist.
Das Bedürfnis nach Flachheit und Regelmässigkeit der Bilder führen dazu, dass Vera Haller die Ölfarben durch Acrylfarben ersetzt: diese werden zum ausschliesslichen Medium des gesamten Schaffens der letzten zwanzig Jahre. In dieser Phase sind die Formen anfänglich – bis ungefähr 1978 – regelmässig auf einem weissen Hintergründ skandiert, danach nimmt die Farbe oft die ganze Oberfläche ein. Das elementare Prinzip der Kreuzung von Vertikale und Horizontale, auf dem Vera Haller seit jeher insistiert, ermöglicht in der geometrischen Abstraktion unendliche Variationen. Die Künstlerin scheint die früheren Erfahrungen konkret wieder aufzunehmen und neu zu durchleben und verleiht damit dieser durch und durch rationalistischen Malerei eine ganz besondere emotionale Intensität, deren prägendes Element die Erinnerung ist.
Der formale Raster, der im Laufe der Zeit symmetrisch wird, bezeugt die letzte Etappe einer Entwicklung, die sich immer stärker zur Konz.
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